Oliver Henniges: Oliver Henniges Don Quichote und die Kulturindustrie

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Filesharing

"Too many people support asssss..."

(Johnny Rotten)
Angelion
17.10.06

Gestern hat der Focus unseren Fall als Einstieg zu einem Bericht über die in Berlin geplante Novelle des Urheberrechtsgesetzes aufgegriffen: Höchste Zeit, die Ereignisse mal selber zusammenzufassen:

Irgendwann im Frühjahr 2006 weckt mich meine Frau mit einem netten Schreiben einer Hamburger Anwaltskanzlei: Ich hätte am illegalen download von Musikstücken teilgenommen, und möge doch viertausend Euro bezahlen, um die Sache aus der Welt zu schaffen.


Nachdem wir uns ein wenig beruhigt und die Trümmer des Kleiderschranks sorgsam dem Kaminholz hinzugefügt haben, setze ich mich wie üblich hin, und verfasse ein eigenes Schreiben, in dem ich mir das Mitschneiden meiner privaten und geschäftlichen Datenströme verbitte. Schließlich habe ich hochsensible Daten meiner Kunden und Lieferanten auf meinem Rechner. Da ich selber keine filesharing Programme installiert habe, bitte ich um Nennung der MAC-Adressen der beteiligen Rechner, um sicherzustellen, daß unsere wifi-Funkkugel auch dicht ist.


Tagelang reden wir intensiv mit den Kindern über das siebte Gebot, die finanzielle Situation der meisten Kulturschaffenden in unserem Lande, das Urheberrecht und die Sicherheit von Daten und Datenübertragung. Parallel recherchiere und poste ich ein wenig zum Thema in den Newsgroups.

Einige Zeit später konzidiert die Anwaltskanzelei in Ihrem zweiten Schreiben, daß die MAC-Adressen der Netzwerkkarten - und damit auch ich selber als Täter - nicht ermittelt werden konnten, und verweist stattdessen auf die sog. Störerhaftung. Mit Störer ist nicht etwa Uwe's Kettensägen-Schärfdienst drei Häuser weiter gemeint, der mich immer mal wieder um meinen wohlverdienten Mittagsschlaf bringt, sondern ich als Inhaber des beteiligten DSL-Anschlusses, dessen IP-Nummer kraft Flatrate gar nicht hätte gespeichert werden dürfen. Eigentlich dachte ich immer, für Ermittlungen seien Polizei, Staatsanwaltschaft und Herr Kottan zuständig.

EMI? never mind them bollox!
Unlimited Supply?
Wat hev wi lacht.
Dieses Antwortschreiben enthält wesentlich weniger Paragraphengebrasel, weshalb ich davon ausgehe, daß die Sache praktisch erledigt ist. Wollte in meinem knappen zweiten Schreiben ursprünglich noch auf ev. Johannes Kap. VIII Bezug nehmen, aber da das just an diesem Sonntag - welch göttliche Koinzidenz - eh in der Lesung war, bin ich davon ausgegangen, daß die Gegenseite auch so daran erinnert wird. BTW: Just während die Gegenseite ihre Schreiben verfasste, haben wir in unserem örtlichen Gemeindebrief das Schwerpunktthema "Musik" für die Juni-Juli Ausgabe vorbereitet. Meine dortigen Ausführungen finde ich jetzt noch lustiger.

Als wir Ende August aus dem Urlaub zurückkommen, finden wir dennoch einen Beschluß des Landgerichts Hamburg mit unglaublich kurzen Fristen vor. Das zweite Mal, daß sich die Gegenseite reichlich unsportlich verhält: das erste Schreiben erfolgte erst nach Ablauf der Dreimonatsfrist, damit die Daten bei meinem ISP auch garantiert gelöscht sind. Dazu jetzt diese kurzen Fristen mitten in der Urlaubszeit. Da hat jemand die Hosen voll.

Nichtsdestotrotz Zeit, einen Anwalt einzuschalten. Da die Sache technisch sehr kompliziert ist, wende ich mich nicht an die Notarkanzlei, die mich sonst vertritt, sondern kontakte per Mail Herrn Solmecke, der sich im Netz bereits mit vielen, vielen informativen Seiten zum Thema hervorgetan hat.

Eigentlich hatte ich erwartet, daß er sich vor Anfragen und Fällen zum Thema kaum retten kann, und bin ganz überrascht, als ich auf meine mailanfrage eine positive Antwort erhalte. Herr Solmecke übernimmt den Fall sehr gerne. Nachdem ich die Unterlagen gefaxt habe, telefonieren wir mehrfach, um den Fall zu erörtern und eine erfolgversprechende Strategie abzustimmen.
Richard Wagner
Cybernätäs
Lass die Wacht

Zur genannten Störerhaftung existiert bereits eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg, wie auch ein Urteil des OLG Hamburg (5 W 61/06), in dem der Musikindustrie recht gegeben wird: Eltern und alle Inhaber von DSL-Anschlüssen haben die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, daß von den Anschlüssen aus keine Straftaten wie eben solche Urheberrechtsverletzungen begangen werden. Wer nicht in der Lage ist, sein Netzwerk entsprechend zu konfigurieren, dem kann zugemutet werden, auf eigene Kosten einen Techniker damit zu beauftragen.

Wer auch nur einen Funken Verstand, und ein ganz klein wenig Einblick in die zugrundeliegende Technik hat, der weiß, daß diese Behauptung jeder Grundlage entbehrt: Es ist nicht nur unverhältnismäßig teuer, diese Auflagen zu erfüllen, sondern technisch praktisch unmöglich. Man müßte vermutlich einen separaten, speziell unter Linux konfigurierten PC als Ersatz für den Router direkt an der Telefonsteckdose in die Wand einmauern. Aber Uwe hat nicht nur Kettensägen, sondern auch ne Hilti; das reicht also auch nicht.

Herr Solmecke weist mich nochmal sehr ernst darauf hin, welche Konsequenzen eine solche Auseinandersetzung mit der Musikindustrie haben kann: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hätte ich leicht für nunmehr nur noch ca anderthalbtausend Euro den Schwanz einziehen können. Andernfalls gilt es, die Entscheidungen von zwei Gerichts-Instanzen zu kippen, was nicht ganz billig wird, und sich jahrelang hinziehen kann.

Genau wie bei den Inkassoverfahren gegen meine säumigen Kunden habe ich aber auch hier einen sozialhygienischen Auftrag und neige außerdem zum Querulantentum, wie meine Frau meint: Solchen Wegelagerern an der Datenautobahn muß einfach das Handwerk gelegt werden.

Viertausend Euro Abmahnkosten für ein Bagatelldelikt, das täglich von Millionen minderjähriger Menschen begangen wird, das kann einem Familienvater mit zwei Kindern, frischer Baufinanzierung und Heizkostennachzahlung das Genick brechen. Da werden Existenzen vernichtet, nur weil ein abkackender Industriezweig die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Die krassen Managementfehler der Musikindustrie sollen in deutschen Kinderzimmern ausgebügelt werden: Das werden wir nicht zulassen.

Wir haben deshalb auf eigene Kosten von Herrn Prof. Dr. Dieter Homeister vom Fachbereich Informatik der Fachhochschule Heidelberg ein Gutachten anfertigen lassen, in dem nachgewiesen wird, daß die bisher erfolgten Entscheidungen des Landgerichts Hamburg ohne das erforderliche technische know how erfolgten. Insbesondere die Zumutbarkeit von technischen Maßnahmen zur Verhinderung von upload-Delikten muß aufgrund dieses Gutachtens völlig neu bewertet werden.

Herr Prof. Dr. Homeister hat einer Veröffentlichung seines Gutachtens im Internet ausdrücklich zugestimmt, denn die Wahrheit bedarf keines Urheberschutzes. Das Gutachten soll also auch hier zur Verfügung gestellt werden, die Weitergabe sollte aber um des Anstands willens in anlehnung an die GNU-Lizenzen erfolgen, und in jedem Falle ungekürzt, ungeändert und mit vollständiger Angabe der Quelle erfolgen. Ehre wem Ehre gebührt.



Der Fotograf, der uns für den Focus aufgenommen hat, wie auch der Redakteur, der den Text verfasst hat, gehören zu denjenigen Kulturschaffenden, die durch das Urheberrecht geschützt werden sollen. Beide finden völlig in Ordnung, daß wir uns diese Klage nicht gefallen lassen.

Die neuen Techniken verändern unsere Welt in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit. Die Managementfehler der Musikindustrie sind nur ein kleiner und unbedeutender Teil dieser Entwicklung, und diese Leute sind nicht die Einzigen, die darunter leiden:

Schon heute sind Millionen von Menschen ohne Arbeit, in wenigen Jahrzehnten wird die Versorgung der Bevölkerung mit den Gütern des täglichen Bedarfs in den Industrienationen fast vollständig von Maschinen erledigt werden. Im Rahmen dieser Entwicklung wird auch die Kulturindustrie, so wie wir sie heute kennen, überflüssig werden, denn jede Garagencombo kann ihre Musik über youtube oder myspace weltweit kostenlos vertreiben. Rock n Roll kehrt dahin zurück wo er hingehört.

Die Frage nach der Unterhaltssicherung der Menschen in einer Welt ohne Arbeit ist eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen und kulturgeschichtlichen Themen überhaupt. Das Gezerre der Lobbyisten um ihre jeweiligen Pfründe bei der Rentenreform, der Gesundheitsreform oder der Novelle des Urheberrechts ist nur Teil dieser übergeordneten Oeconomizee und wird ohne ein Angehen der Kernprobleme nie zu einer Lösung führen.

Diese Diskussion gehört an die erste Stelle der Tagesschau, der Talkshows, der politischen Magazine und des Feuilletons, sie gehört nach Berlin, Brüssel und New York, aber nicht in unsere Landgerichte und schon gar nicht in unsere Kinderzimmer.